Ich habe eine Schwäche für alles aus dem Bereich Food Competition und Food Doku. Ersteres hat mich schon vor vielen Jahren im deutschen Fernsehen angezogen, nie dauerhaft, aber ich habe so meine Kochduell- oder Perfektes-Dinner-Phasen gehabt. Für letzteres hat Netflix mit Chef’s Table den absoluten Prototypen im Programm. Nicht ohne Grund ist das eines der am längsten laufenden Netflix-Programme, wenn nicht sogar das am längsten laufende (aktuell verlängert bis in die achte Staffel). Chef’s Table ist eines jener seltenen bis in die kleinste Schraube perfekt austarierten Formate. Vielleicht ein andermal mehr davon. Ich kann mit Coaching-Formaten etwas anfangen, ich mag alles, was mit Architektur zu tun hat und ich freue mich, wenn mich Fernsehformate in exotische Gegenden entführen und dort den lokalen Flair einfangen.
Eigentlich ist Restaurants on the Edge auf dem Papier also wie für mich geschaffen. Drei Profis – ein Gastronom fürs Finanzielle, ein Koch für die Speisekarte und eine Designerin für die Innenausstattung – reisen in die schönsten Winkel der Welt, um scheiternden Restaurantbesitzern wieder auf die Beine zu helfen. Exotische Speisen, exotische Gegenden, formalisiert in einem Coaching- und Documenation-Format.
Leider hat Restaurants on the Edge ein paar sehr üble Schnitzer, die das Format regelrecht unangenehm anzusehen machen. Und mimch nach zwei Folgen aufhören ließen, weitere werden nicht mehr dazukommen.
Haken Nummer Eins: Explizit wird immer wieder betont, dass es darum geht, authentische Lokalitäten zu schaffen, Highlights der lokalen Gastronomie. Dazu reisen drei Experten aus dem Ausland nach Malta oder Hongkong (die Länder der ersten beiden Folgen), hören sich ein bisschen in der Gegend um, was denn so landestypisch ist, nehmen den Inhabern der Restaurants das Heft aus der Hand und bauen es nach ihren Vorstellungen eines authentischen Hot Spots um. Das hat mit Authentizität nichts zu tun. Sich anzumaßen, Einheimischen die authentische Küche ihres Landes zu erklären, hat den unangenehmen Beigeschmack von Imperialismus. In Folge 1 fällt das noch nicht so sehr auf, in der Nationaltorwart Justin Haber Fisch aus aller Welt importiert statt den aus dem Hafen zu nutzen, in dem er sein Restaurant stehen hat, aber spätestens in Folge 2 wird das Problem offensichtlich.
Haken Nummer Zwei: Wo gute Coaching-Formate ein Miteinander haben, ein Aufzeigen und Korrigieren von Fehlern, einen Lerneffekt, da wo ein Christian Rach ewig mit den sturen Inhabern fürchterlicher Restaurants diskutiert hat, dort ist Restaurants on the Edge der Mensch hinter dem Laden völlig schnurz. Der darf kurz durch sein Lokal führen und wird im weiteren Verlauf noch ein oder zwei mal irgendwo in die Stadt mitgenommen, um staunend tolle Dinge anzugucken und begeistert zu sein, hat aber sonst kein Mitspracherecht. Die Coaches ziehen los, um ihr eigenes Ding zu machen. Wenn Koch Dennis Prescott los zieht, um lokale Speisen zu testen, dann geht es darum, was ihm gefällt und was ihn begeistert. Wenn Designerin Karin Bohn sich in der Umgebung umschaut, was landestypische Designs angeht, dann macht sie keinen Hehl daraus, dass es um Dinge geht, die ihr selber gefallen. Sehr selten fällt mal ein Wort darüber, warum diese Dinge nun zu genau diesem Restaurant passen. Viel häufiger hat man das Gefühl, es geht den dreien kein bisschen um das was schon da ist, sondern um das, was ihnen gefällt. Nie gibt es ein kritisches Wort vom Betreiber. Der wird auch erst am Ende in seinen umgestalteten Laden geführt und darf zu Tränen gerührt sagen, wie toll er das alles findet.
Haken Nummer Drei: Nachhaltigkeit. Wir sehen hier Restaurants, die quasi keine Gäste haben, denen aber nicht weniger versprochen wird als sie zu den absoluten „Hot Spots“ der Umgebung zu machen. Das ist natürlich Bullshit, weil vieles doch einfach strukturelle Probleme zu sein scheinen. Schlechte Lage, wenig Platz. Viele Maßnahmen verlieren komplett den Fokus aus den Augen. Es ist kaum anzunehmen, dass die neuen Speisekarten oder die aufwändige Grünzeuginstallation der zweiten Folge den nächsten Monat überstehen. Die neue Social-Media-Strategie samt Food-Photography-Workshop für das Hongkonger 1-Tisch-Lokal irgendwo im Nirgendwo setzt dem Ganzen die Krone auf. Was nicht organisch mit den Besitzern entwickelt wurde, das wird scheitern, sobald die wieder auf eigenen Füßen stehen müssen.
Somit ergibt sich in Summe ein Format, in dem drei Nordamerikaner in fremde Länder einfallen, die Restaurants in Not geratener Einheimischer an sich reißen, nach ihren eigenen Vorstellungen umbauen und „authentisch“ machen, und diese dann mit großen Versprechungen und einem Lokal zurücklassen, das viel mehr Pflege braucht als vorher, aber keinen Beweis angetreten hat, auch mehr Gäste zu bringen. Das ist leider alles einfach unmoralisch und falsch. Und offenbar erfolgreich genug, denn die nächste Staffel ist bereits in Arbeit. Vielleicht ist es einfach der Flair amerikanischen Imperialismus, der so gut beim Publikum verfängt.