Die zweite Staffel von The X-Files hatte nach dem Erfolg der ersten einen nicht unwesentlichen Rucksack zu tragen, der durch diverse weitere Faktoren erschwert wurde: den Storys ging gegen Ende der ersten Staffel bereits die Originalität aus, Themen wiederholten sich. Kann man hier wieder frischen Wind herein bringen? Was passiert mit der Mythologie? Wie lange kann man noch damit fortfahren, einfach jedes Mal etwas komplett neues zu zeigen und bloß zu behaupten, es hinge alles zusammen? Wieviel Saft steckt in den beiden Hauptfiguren, hat man es doch nicht geschafft, neben ihnen weitere starke Figuren zu etablieren? Und vor allem: was macht man in einer Show, die komplett von ihren zwei Hauptdarstellern getragen wird, wenn die weibliche Hauptrolle wegen Schwangerschaft kürzer treten muss?
Mulder allein auf Streife
Die erste Staffel beginnt sehr unrund und das liegt unübersehbar an Andersons Schwangerschaft. Man bedient sich, nachdem die X-Akten (zum ersten von noch vielen weiteren Malen) geschlossen wurde des Kniffs, beide Figuren zu trennen, Mulder Überwachungsaufgaben machen zu lassen und Scullys wieder in der Pathologie zu arbeiten. Während Mulder aber fortlaufend trotzdem über mysteriöse Fälle stolpern, bleibt Scullys halt .. in der Pathologie. Schaut sich mal dies und jenes an, telefoniert manchmal mit Mulder, aber die meiste Zeit über ist sie abwesend. Leider versäumt man es, direkt das Ensemble auszubauen und so ist Mulder tatsächlich die meiste Zeit solo unterwegs. Das macht sich vor allem in der Dynamik der Erzählung bemerkbar, die nun eben nicht mehr so einfach zwei parallele Stränge zeigen kann.
Erst mit der Entführung Scullys in Folge 6 stellt man Mulder mit Krycek einen Partner zur Seite, der sich fast direkt als Abgesandter der dunklen Seite entpuppt und schnell wieder aus dem Spiel ist. Eine verpasste Gelegenheit. Und über die einzige Episode, in der Gillian Anderson wirklich gar keine Screentime hat, „3“, in der man die Gelegenheit hatte, sich wirklich komplett auf Mulder zu konzentrieren, hüllen wir hier lieber den Mantel des Schweigens.
Mit Scullys Rückkehr findet die Serie dann schnell zu alter Stärke zurück und darüber hinaus. Denn im Laufe der Staffel sitzt das Zusammenspiel der beiden Hauptrollen endgültig, die Dialoge mit dem verschmitzten Humor Mulders und dem Sarkasmus Scullys laufen zur Hochform auf.
Mythologisches Chaos
Es wird alles noch verwirrender. Hatte ich im ersten Staffelfinale noch den Eindruck, dass die Mythologie dort konsolidiert werden soll, so geht es hier wieder genauso chaotisch weiter wie zuvor. „Little Green Men“ zeigt uns ziemlich kontextfrei Aliens, die alle, die sie sehen zu Tode erschrecken. Nur Mulder natürlich nicht. „Ascension“ und „One Breath“ deuten an, dass Scully nicht von Außerirdischen, sondern von den Verschwörern entführt wurde, außerdem wird bei einem entführten ein Implantat gefunden, das eine Art Registrierung darstellt (ein Strichcode, den eine Supermarktkasse lesen kann – womöglich die dümmste Szene der ganzen Staffel). „Red Museum“ kaut die Geschichte von „The Erlenmayer Flask“ wieder ohne nennenswertes hinzuzufügen. Und mit dem Zweiteiler „Colony“ und „End Game“, der Einführung einer neuen Gruppe von Alienklonen sowie einer neuen Gruppe von Alien-Kopfgeldjägern wird es endgültig vollkommen konfus. Um dann im Finale auch noch die Navajo, ein geheimes Projekt MJ und pockengeimpfte Alienleichen einzubringen. Puh.
Was Staffel 2 in Sachen Mythologie aber richtig macht: Die Verschwörung bekommt endlich Gesichter. Der Raucher wird vom mysteriösen Beisteher zum gefährlichen Antagonisten mit Handlangern, Krycek als einer von ihnen. Mulders Vater hängt ebenfalls in der Sache drin. Wie das alles zusammenhängt bleibt aber sehr, sehr mysteriös.
Das Ensemble wächst
Neben dem erwähnten Raucher und Krycek baut The X-Files auch auf der Protagonisten-Seite wertvolle Nebenrollen auf. Diese kamen jeweils schon in Staffel 1 vor, waren dort aber nicht für länger angelegt. Nun bekommen wird aber mehrere Auftritte der Einsamen Schützen und vor allem Skinner macht eine bemerkenswerte Entwicklung. Eingeführt als kalter FBI-Vorgesetzter, der den Agenten den Kopf wäscht, rückt er in die undankbare Position zwischen Mulder und dem Raucher. Auf der einen Seite hat er die Autorität, Mulder zurechtzuweisen und zu disziplinieren, wenn dieser sich nicht an die Spielregeln hält. Insbesondere wenn der Raucher ihm diese vorgibt. Auf der anderen Seite hasst er den Raucher, weil Skinner ein absolut integer Mensch ist und ihm die undurchsichtigen Machenschaften vollkommen zuwider ist. So wird er trotz seiner rauen Art schnell zu einem Verbündeten ohne das die Spannung zwischen ihm und dem Agentengespann Schaden nimmt.
Phantastische Geschichten
Entweder hat man beim Sender eingesehen, dass die enge Vorgabe, bekannte Mythen zu interpretieren, zu einschränkend ist oder der Erfolg machte es möglich, sich besser durchzusetzen. Staffel 2 jedenfalls weitet die Bandbreite deutlich aus. Zwar haben wir auch hier wieder die Geister der Toten, die zurückkehren, um sich zu rächen (wie in „The Calusari“), aber eben auch einen unsichtbaren amoklaufenden Elefanten, einen menschengroßen Wurm im Abwasser oder ein Schiff, das in einer Zeitanomalie gestrandet ist.
Horror-Elemente
Auch wenn die Serie direkt mit einer deformierten Leiche startete, an Ekel oder Schockeffekten hielt sich The X-Files in der ersten Staffel zurück. Die zweite Staffel geht da deutlich weiter und beginnt, Ekel und Horror als Stilelement zu etablieren. Dies beginnt in „Firewalker“ bin Pilztentakeln, die aus Brustkörben platzen (leider sehr deutlich bei Alien abgekupfert), es folgen diverse Tierkadaver, Maden in einer Frühstücksflocken-Schüssel, menschliche Innereien in Schubladen und Kühlschränken, dem blubbernden Zerfall der Leichen von Alienklonen. Und kummuliert schließlich in „F. Emasculata“ in einer Infektionskrankheit, die sich in widerlichen pulsierenden Pusteln äußert, die beim Aufplatzen Menschen Schleim ins Gesicht schleudern und aus denen Schaben klettern.
Handwerklicher Quantensprung
Das Budget der Serie scheint signifikant erhöht worden zu sein. Interessanterweise ist das nicht von Beginn an sichtbar, sondern erst im letzten Drittel der Staffel, aber dem „Colony“-Zweiteiler. „Fearful Symmetry“ direkt danach begeistert mit einer sensationellen Inszenierung von Amokläufen unsichtbarer Tiere sowie mit tatsächlichen Wildtieren am Set. „Dod Kalm“ wurde komplett an Bord eines Schiffes gedreht und die bereits genannten Pusteln aus „F. Emasculata“ sind gerade deshalb so ekelerregend, weil sie verdammt gut gemacht sind. Das gilt leider nicht für das Alters-Makeup in „Dod Kalm“, das leider einfach nur peinlich ausschaut.
Die Highlights
Der Zweiteiler „Duane Barry“ und „Ascension“, der die Entführung Scullys beinhaltet, ist großartig. Zunächst ein einfaches Geiselnahme-Drama, das immer neue Twists präsentiert, dann ein starkes Verschwörungselement, in dem die Agenten erstmals wirklich in die Schusslinie geraten. Die erste sehr humoristisch angelegte Episode der Serie, „Humbug“, ist völlig zu Recht ein Klassiker. Eine wunderbar skurril gezeichnete Welt mit einigen schönen Gags. Außerdem möchte ich „Die Hand Die Verletzt“ erwähnen. Finster, ekelhaft und ohne Happy End. Wunderbar, wie Mulder und Scully fortwährend in die Irre geführt werden und am Ende mit leeren Händen dastehen.
Die Lowlights
Der Staffelauftakt enttäuschte mich, obwohl es keine schlechte Episode war, aber einfach nur davon lebte, das es ein Alien zu sehen gibt. Und das nicht einmal richtig. Für Mulders Solo in „3“ wurde tatsächlich nichts besseres erdacht als ein Vampir-Erotikdrama. „Dod Kalm“ scheitert am schrecklichen Make-Up und einem sehr nach „Deus Ex Machina“ riechenden Ende. Und zu „Soft Light“ muss ich sagen: Ja, The X-Files ist Mystery, alle Stories sind Fantasieprodukte, nichts davon gibt es in Wirklichkeit. Aber ein mit Schwarzer Materie beschossener Wissenschaftler, dessen Schatten Menschen frisst. Und das sogar durch geschlossene Türen hindurch. Und dies nicht tut, wenn es komplett dunkel ist und es quasi nur Schatten gibt. Die Geschichte ist dermaßen lächerlich in auch in sich nicht ein Stück weit plausibel.
Fazit Staffel 2
Der Start ist durch die äußeren Bedingungen überaus zäh, nach zehn Folgen kommt die Staffel dann aber in Fahrt. Mulder und Scully werden ausdefiniert, das Zusammenspiel wird verfeinert, sodass die Serie eine sehr schöne Humornote bekommt. Im Kontrast dazu werden Horrorelemente als Stilmittel entwickelt. Insgesamt wirkt The X-Files damit stilistisch deutlich breiter angelegt als zuvor, was dem Unterhaltungswert sehr zugute kommt. Die Etablierung von Skinner ist ebenfalls ein großes Plus der Staffel. Etwas tun muss sich allerdings in der Mythologie. Weiterhin wirkt es so, als würde jede Mythologie-Folge ihr eigenes Süppchen kochen, sodass es bereits jetzt unentwirrbar aussieht.