Twitter hat gestern das Konto von Präsident Donald Trump dauerhaft gesperrt (gefolgt von den Accounts von TeamTrump und sogar dem offiziellen Präsidentenaccount POTUS, die Donald Trump als Mittel dienten, die Sperre zu umgehen). Twitter begründet das mit dem Risiko zu weiterer Gewaltanstiftung.
Ich finde die gesamte Art von Donald Trump, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren, aufzuhetzen, zu lügen, zu beschimpfen widerwärtig und abstoßend. Der Sturm aufs Kapitol geht auf das Konto von Donald Trump und ich möchte solche Menschen nicht in meinen sozialen Netzwerken haben. Die jetzt erfolgte Sperrung halte ich dennoch für gefährlich und falsch.
Schauen wir uns einmal die genaue Begründung an. Nach Ablauf der zwölfstündigen Accountsperre nach den Geschehnissen rund um die Stürmung des Kapitols twitterte Trump zwei Nachrichten:
The 75,000,000 great American Patriots who voted for me, AMERICA FIRST, and MAKE AMERICA GREAT AGAIN, will have a GIANT VOICE long into the future. They will not be disrespected or treated unfairly in any way, shape or form!!!
Übersetzt:
„Die 75.000.000 großartigen amerikanischen Patrioten, die mich, AMERICA FIRST und MAKE AMERICA GREAT AGAIN gewählt haben, werden bis weit in die Zukunft eine GIGANTISCHE STIMME haben. Sie werden keiner Weise, Art oder Form respektlos oder unfair behandelt werden [dürfen]!!!“
Sowie:
„To all of those who have asked, I will not be going to the Inauguration on January 20th.“
Übersetzt:
„An alle, die gefragt haben: Ich werde nicht zur Amtseinführung am 20. Januar gehen.“
Nach diesen beiden Tweets erteilte Twitter die ultimative Strafe: Accountsperre auf unbestimmte Zeit. Argumentation: Der erste Tweet könne als Aufruf zu weiterer Gewalt verstanden werden und der zweite dafür die Amtseinführung als Ziel nennen, weil dort Trump aufgrund seiner Abwesenheit nicht selbst zu Schaden kommen kann.
Es kann sein, dass diese Interpretation korrekt ist. Es kann auch sein, dass sie es nicht ist. Immerhin kündigte Trump vor dem Sturm aufs Kapitol an, zusammen mit seinen Anhängern marschieren zu wollen, also genau das Gegenteil dessen, was jetzt zur Amtseinführung getwittert wurde und trotzdem in die gleiche Richtung ausgelegt wird.
In jedem Fall ist die Beweisführung hier wachsweich und absolut durchschaubar: Twitter wollte sich schlicht nicht die Blöße geben, den Account wieder langfristig freizugeben nachdem insbesondere Facebook direkt zu einer zeitlich unbegrenzten Sperre gegriffen und dafür viel Zuspruch erhalten hatte. Die Kurzzeit-Sperre war ein Testballon. Was passiert, wenn wir die wichtigste politische Person der USA aussperren? Applaus, Sanktionen, User-Exodus? Experiment geglückt. Ich würde fast wetten, man hat nach dem Ablauf der Sperre begierig gewartet, dass irgendetwas kontroverses kommt, um erneut zuzulangen.
Nun muss man aber leider feststellen: Wer aus diesen beiden Tweets einen konkreten Aufruf zur Gewalt herauslesen kann, der kann das vermutlich aus den allermeisten anderen Tweets auch. Eine Sperre mit dieser Begründung kann genau als massiver Machtmissbrauch gegen missliebige Politiker verstanden werden. Twitter stellt den Präsidenten der Vereinigten Staaten stumm mit einer Begründung, die weder Hand noch Fuß hat.
Und das obwohl er als wichtige politische Person bereits Sonderrechte besitzt bei der Bewertung von Tweets und den Strafmaßnahmen. Wieviele Tweets müsste man nun noch löschen oder mit Warnhinweisen versehen, wieviele Accounts blocken, wenn man dieselben Maßstäbe an die anderen über 300 Millionen Nutzer anlegen würde? Wer kontrolliert hier die Kontrolleure? Kann ich jemanden erfolgreich anschwärzen, der inhaltlich dasselbe postet wie diese beiden Nachrichten?
Auf den zweiten Blick ist die Sache ohnehin viel verzwickter als sie zunächst scheint. Patrick Beuth forderte gestern im Spiegel „das Ende der Extrawurst“, das Abschaffen der Privilegien für Politiker, deren Nachrichten von Twitter weiterhin als von besonderem Interesse für die Öffentlichkeit geschützt werden. Er hat sicherlich nicht Unrecht damit, dass damit eigentlich nur bedenkliche Inhalte geschützt werden. Solche, die bei normalen Accounts sanktioniert würden. Dass man Weltpolitiker mit genau den gleichen Maßstäben messen muss wie Otto Normaltweet haut allerdings nicht hin.
Auch wenn die Wirkung gigantisch ist, muss man konstatieren, dass es bei Donald Trump in der Regel nicht das Problem ist, dass er gegen die Regeln verstößt. Klar, diverse Beleidigungen, insbesondere gegen Vertreter der Demokraten, sollten nicht unbedingt unter die Meinungsfreiheit fallen. Aber Trump hat eben auch nie zu Gewalt aufgerufen, nie dazu, das Kapitol zu tatsächlich stürmen, er war nie offen rassistisch. Was Trump tut spielt sich zwischen den Zeilen ab. In seinem Lob für die falschen Leute, in seinen Lügen über die Wahl, in seinen Andeutungen und in dem, was er nicht schreibt, wozu er still bleibt. Harmlose Nachrichten, die sich mit der Bekanntheit und Bedeutung seiner Person ins Unermessliche potenzieren. Das wird gerne vergessen, wenn gefordert wird, alle mit denselben Maßstäben zu messen.
Wollen wir künftig Menschen sperren, die auf Twitter Polizisten loben, die gegen ausländische Straftäter vorgehen?
Wollen wir künftig Menschen sperren, die schreiben, dass sie sich jetzt auf den Weg zur Querdenker-Demo machen und fragen, wer mitkommt?
Wollen wir künftig Menschen sperren, die auf Twitter lügen? Oder nur bei großen Lügen? Und wo fangen die an?
Wollen wir künftig Menschen sperren, die auf Twitter schweigen? Denn das ist es, womit Trump während der Ausschreitungen am meisten entsetzt hat.
Wenn wir all das nicht wollen, dann sollten wir es auch nicht bei Donald Trump anwenden. Denn dann behandeln wir ihn aufgrund seines Status nicht etwa besser als den normalen User, sondern schlechter. Und das ist mindestens genauso bedenklich.
Das Problem ist nicht, dass Trump vier Jahre lang auf Twitter die Gemüter erhitzen konnte. Das Problem ist, dass ein politisches System ihn vier Jahre lang um jeden Preis geschützt hat, in der Position zu bleiben, in der er damit massiven Schaden anrichten kann.