Wer ist eigentlich das Publikum

Ich habe heute A Man on the Inside abgebrochen. Kommt vor. Früher habe ich das selten über mich gebracht, Serien oder gar Filme, die ich einmal angefangen habe, einfach abzubrechen, aber irgendwann wurde mir meine Zeit zu schade.

Mitten in der fünften Folge habe ich ausgemacht. Oder in der sechsten? Bin mir nicht genau sicher. Ich kann gar nichts schlechtes über die Serie sagen. Sympathisch, in einem unverbrauchten Milieu: ein Witwer, der seinem freudlosen Lebensabend entgegen sieht, lässt sich von einer jungen Privatermittlerin anheuern, in eine betreute Seniorenwohnanlage zu ziehen, um dort aufzuklären, wer dort teuren Schmuck gestohlen hat. Und das mit einem Ted Danson in der Hauptrolle, der mit seinen knapp 77 Jahren beneidenswert agil ist. Gebt dem Mann ein digitales De-Aging und der könnte auch einen 40-jährigen Agenten spielen (es wäre aber vermutlich aus vielen Gründen trotzdem keine gute Idee). Irgendwo kann ich auch die extrem guten Kritiken verstehen, die 96% auf Rotten Tomatoes, denn Kritiker schauen nun mal gerne, was Kritiker so gerne schauen. Aber mir stellt sich die Frage: Für welches Publikum wird sowas eigentlich produziert? Mit welchem Ziel? Wer soll sich dafür begeistern.

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Und ehrlich gesagt, weiß ich das mittlerweile bei vielen Serien nicht mehr. A Man on the Inside hat keine treibende übergreifende Handlung, die einen an den Bildschirm fesselt. Es hat keinen brachialen Humor, der einen eine halbe Stunde die Welt drumherum vergessen lässt. Es hat keine Überraschungen. Es hat keine Schauwerte, über die man staunen kann. Es thematisiert Einsamkeit, Trauer, Demenz, ohne ein Referenzwerk für diese Themen zu werden oder sein zu wollen. A Man on the Inside ist feinsinnig und sympathisch. Im Feinsinn kann man sich feinsinnig fühlen und an der Sympathie kann die Serie wachsen. Naja, so war das jedenfalls mal.

Ich sehe sowas nicht mehr funktionieren. Es gab eine Zeit, da konnte man Serien über sympathische Figuren aufbauen, denn sympathische Figuren sind identitätsstiftend und das ist ausgezeichnet, wenn man sich ein Publikum aufbauen will. Das geht langsamer als bei kontroversen Figuren, dafür ist die Halbwertszeit wesentlich länger. Aber A Man on the Inside hat ja nur 8 halbstündige Folgen. Und sollte es wider Erwarten so erfolgreich werden, dass Netflix mehr will, müsste man vermutlich mindestens ein Jahr warten.

So lässt sich doch nix aufbauen. In zwei Monaten ist die Serie vergessen. Hieran ist nicht erinnerungswürdig, nichts bleibt haften, wenn es nicht ständig über den Gewohnheitseffekt läuft, wenn die Serie einem nicht regelmäßig ihre feinsinnige Welt zur Realitätsflucht zur Verfügung stellt. Und das Gefühl habe ich bei so, so vielen Serien in den letzten fünf, sechs, acht Jahren. Wie viele waren denn dabei, deren zweite Staffel man nicht mit einem „ach, das gibt’s ja auch noch – wusste gar nicht, dass da noch was kommt – irgendwann mal weitergucken“ quittiert wurde? Oder deren dritte mit „och nee, nicht ein drittes Mal derselbe Kram“, aber das ist ein anderes Thema. Wie oft bekommt man noch das wohlige Gefühl, in eine Serienwelt zurückkehren zu dürfen, die wir liebgewonnen haben? Passiert recht selten. Wenn überhaupt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert