Squid Game 2

Machen wir uns nichts vor, das hier war ohnehin ein Himmelfahrtskommando. Mir fiele keine Serie ein, bei der ein so frappierender Unterschied vorgelegen hätte zwischen dem, was die Serie eigentlich sein will und dem, was die Zuschauer sehen wollen. Was Squid Game eigentlich sein möchte und was Serienschöpfer Hwang Dong-hyuk mit ihr zeigen möchte: eine beißende Kapitalismussatire, Sozialkritik in Dystopie gegossen. Reiche Menschen nutzen die Nöte der Ärmsten aus, um sie zu ihrem eigenen Amusement in unmenschlichen Spielen zu verheizen, sie auszunutzen und schlimmer zu behandeln als Tiere. Was das Publikum sehen möchte und somit auch Netflix, welches das zwischendurch mit Squid Game – The Challenge in Form einer realen Spielshow auch schon getan hat: geile Todesspiele! Oder anders formuliert: Netflix wollte natürlich genau das Publikum bedient sehen, das Hwangs Schöpfung kritisiert. Das beides unter einen Hut zu bekommen: quasi unmöglich.

Squid Game 2 versucht es auch gar nicht so richtig, sondern splittet die ohnehin schon gesplittete Staffel mehr oder weniger in drei Teile: Zwei Folgen beschäftigen sich mit Gi-Huns Suche nach dem Anführer und mit dem Ddakji-Mann. Vier Folgen durchlaufen die Kandidaten neue Todesspiele. Und in der finalen Folge gibt es eine actionreiche Rebellion.

Teil 1 zeigt sehr deutlich die Handschrift von Hwang. Hier herrscht beißende Sozialkritik vor, wenn der Ddakji-Mann bepackt mit Brötchen und Lotterielosen von Obdachlosem zu Obdachlosem zieht und jedem die Wahl für ein Geschenk: Los oder Essen, Chance auf ein besseres Leben oder Leben von der Hand in den Mund. Und all die übrig gebliebenen Brötchen dann vor den Augen der armen Menschen, die diese nicht gewählt haben, vernichtet. Die danach folgenden Szenen zwischen Gi-Hun und dem Ddakji-Mann sind stark inszeniert – ergeben aber leider vorne und hinten keinen Sinn. Die Aussage ist: der Ddakji-Mann ist bloß ein willenloses Hündchen, dass alles macht, was sein Herrchen, der Mann mit der schwarzen Maske, befiehlt. Das ist durchaus ein interessanter Gedanke, das ist stark gespielt, nur gibt Squid Game 2 leider nicht einmal einen Anhaltspunkt, welches Interesse sein Meister daran haben sollte, dass der Ddakji-Mann im Park Obdachlose vorführt (die ja gar nicht an den Spielen teilnehmen) und erst recht daran, dass er sich beim Russisch Roulette selbst erschießt.
Außerdem stellt dieser erste Teil Gi-Huns Widerstandsbewegung vor. Von seiner persönlichen Suche nach dem Frontmann mit der schwarzen Maske bis zu der Gruppe an Mitstreitern rund um Hwang Jun-ho, die Gi-hun unterstützt.
Trotz der logischen Schwächen zeigen diese beiden Folgen auf, welche Kraft im Format steckt.

Und dann kommt Teil 2. Sozusagen „auf vielfachen Wunsch“. Vier Folgen lang werden Figuren vorgestellt, die an den neuen Spielen teilnehmen und müssen wieder blutige Todesspiele durchlaufen. Es gibt kleine Dramen, zynische Kontraste zwischen munterer Musik und blutigen Massakern, kleine Spannungsbögen. Die Spiele werden als großes Event inszeniert, als würde man einer Sportveranstaltung beiwohnen und mit seinen Favoriten mitfiebern. Wobei sich schon das erste Problem ergibt: es gibt keine Favoriten. Klar, Gi-hun, aber der hat als Hauptfigur ohnehin den maximalen Plot-Armor. So wie auch einige andere Figuren, auch solche, bei denen man es sich nicht wünschen würde. So wie der Crypto-Scammer und seine schwangere Ex-Freundin. So wie die passiv-aggressive Schamanin. Wie der weinerliche Spieler und seine weinerliche Mama. Insgesamt schafft es Squid Game 2 überhaupt nicht, sympathische Figuren zu erschaffen, mit denen man wirklich mitfiebern könnte. Alle sind mindestens egal, wenn nicht sogar nervtötend. Und das, obwohl sie Serie sich zwischen den Spielen in ausufernd langen Dialogen ertränkt, in denen die Spieler über ihre Situation, was sie dorthin brachte und wie sie da bloß wieder herauskommen schwadronieren. So viel Tell, so wenig Show – und das mit Dialogen auf dem Niveau von Highschool-Soaps. Wenn die Gruppe zum dritten Mal eine halbe Folge lang diskutiert, ob sie lieber das bisher erspielte Geld nehmen sollten statt sich weiter erschießen zu lassen, ist das nicht nur furchtbar ermüdend, sondern auch noch lachhaft unrealistisch, dass nach all den schockierenden Massakern weiterhin die Mehrheit weitermachen will. Staffel 1 hatte das gut gelöst, dort war der Sinneswandel der Spieler, nachdem sie wieder in der Realität ihres trostlosen Lebens ausgesetzt werden waren, nachvollziehbar. Staffel 2 retconned aber das Spielprinzip und lässt sie nach jedem Spiel aufs Neue abstimmen. Etwas was in der vorherigen Staffel definitiv nicht der Fall war, auch nicht off-screen, denn sonst wäre Gi-hun wohl kaum gegen seinen Jugendfreund in die finale Runde gezogen. Trotzdem scheint es ihn nicht zu wundern, dass das nun anders ist.

Überhaupt, Gi-hun. Der Mann ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, ein Mann auf einer Mission, auf der Suche nach Erlösung. Er will die Spiele zu Fall bringen, sie ein für allemal beenden. Seit drei Jahren investiert er sein gewonnenes Vermögen, um die Drahtzieher zu finden und auszuheben. Leider – so muss man nach Staffel 2 konstatieren – hat er sich in all der Zeit keine Gedanken gemacht, wie das funktionieren soll. Sein Plan ist, mit einem unter einer Zahnbrücke versteckten Peilsender in die Spiele einzuschleusen und zu hoffen, dass seine Mitstreiter ihn holen. Das ist alles. Und es geht direkt schief, weil ihm der Sender entfernt wird und Gi-hun ist aufgeschmissen. Kurz gesagt: Gi-hun kommt hier völlig unfähig rüber. Während andere Spieler es geschafft haben, Aufputschmittel oder Waffen mitzuschmuggeln, steht er komplett blank da. Er versucht im ersten Spiel die Führung zu übernehmen und alle Spieler heil ins Ziel zu bringen – und scheitert. In den nächsten Spielen versucht er es gar nicht mehr. Und auch sonst nichts. Wir wissen, dass die Infrastruktur Schwachstellen hat, dass der Transfer zu den Toilettenräumen ein neuralgischer Punkt ist. Er könnte versuchen, eine Wache zu überwältigen und zu fliehen. Er könnte versuchen, die Spiele zu sabotieren. Mit den Spielern in den Streik zu treten. Er tut nichts. Und merkt auch nicht, wie er manipuliert wird vom neuen Spieler 001, der genau wie Spieler 001 aus der ersten Staffel undercover der Drahtzieher des Ganzen ist.

Als sich gleich große Lager bilden zwischen denen, die weiterspielen wollen, weil sie ihren Gewinn noch einmal aufdoppeln oder verdreifachen wollen und denen, die sofort raus wollen, ist es Gi-huns Strategie, an ihre Vernunft zu appellieren. Verspricht er jemandem seinen Gewinn, wenn dieser die Seite wechselt? Fragt er, wer noch zugunsten von Freiheit auf sein Geld verzichten mag? Bietet er etwas aus seinem gewaltigen Privatvermögen? Nein.

Stattdessen startet er einen blutigen und aussichtslosen Aufstand, für den die letzte Folge hauptsächlich aus wilden Schießereien besteht. Es ist eine willkommene Abwechslung zum müden Wechsel zwischen Spielen und darüber Reden, aber spannend ist es leider auch nicht. Der erwähnte Plot Armor, die Aussichtslosigkeit angesichts einer Folgestaffel, die „auf vielfachen Wunsch“ weiterhin Todesspiele zeigen wird, die fehlende Konfrontation zwischen Gi-hun und dem Anführer und stattdessen das reihenweise Umnieten anonymer Maskenträger: es krankt an Vielem.

Was war sonst noch so? Wir bekommen einen müden Neuaufguss der bereits in Staffel 1 unsäglichen Organraub-Storyline, nun mit einer jungen nordkoreanischen Frau im Zentrum, die als Schützin für die Spiele arbeitet, der Verschwörung auf die Spur kommt, sich aber kaltstellen lässt. Und wir bekommen hin und wieder Hwang Jun-ho und seine Leute wie sie auf Booten von Insel zu Insel schippern, die Spiele nicht finden und nach sieben Folgen so weit sind wie am Anfang.

Squid Game gelingt die Überraschung nicht, die es gebraucht hätte, um gegen alle Widrigkeiten erfolgreich auf die erste Staffel aufzubauen, sondern kredenzt einen komplett halbgaren Mix aus dem, was man zeigen möchte und dem, was man zeigen muss, garniert mit all den Unschärfen, die man benötigt für das, was man noch zeigen wird. Und das Ergebnis ist leider über weite Strecken ungenießbar.

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