Million Dollar MacGuffin

Netflix, wir müssen mal reden!

Ich bin ja ein großer Fan von High Concept Gameshows, von Abenteuershows, von Social Deduction. Habe zwei Dutzend Staffeln „Survivor“ geguckt, jede erdenkliche Inkarnation von „The Mole“ und freue mich, dass das Genre gerade wieder Traktion gewinnt und auch Netflix immer neue Varianten ausprobiert. Aber bitte, bitte lasst doch mal jemanden über die Konzepte schauen, der etwas von Spieltheorie und Psychologie versteht. Denn diese Konzepte, die ärgern mich beim Zusehen einfach nur noch. Ich schrieb schon einmal über das unangenehme Konzept von „Pressure Cooker“, einer Kochshow, deren krudes Regelwerk darin mündete, die potentiell schwächsten Kandidaten im Finale antreten zu lassen. Und über „The Trust“ wollte ich schreiben, war aber nie dazu gekommen.

In aller Kürze: In „The Trust“ bekam eine Gruppe Kandidaten vom Start weg eine gemeinsame Gewinnsumme, die am Ende zu gleichen Teilen aufgeteilt wird. Jeden Tag durfte ein Kandidat in geheimer Wahl herausgewählt werden, die Kandidaten sich aber auch enthalten. Bei keiner abgegebenen Stimme (oder auch Gleichstand, da bin ich mir nicht mehr sicher) musste niemand gehen. Das war angeblich der Kern der Show: Hält die Gruppe zusammen? Natürlich nicht. Es gab an keiner Stelle ein Incentive, seine Stimme nicht zu nutzen. Denn dadurch wurde die Gewinnsumme potentiell nicht größer, dafür aber die Gefahr selbst gehen zu müssen. Dass es tatsächlich enorm viele Enthaltungen gab war das eigentlich Erstaunliche an der Show.

Aber eigentlich soll es um den neuesten Wurf „Million Dollar Secret“ gehen. Das Konzept: 12 Kandidaten treten gegeneinander an. Einem zufällig gewählten Kandidaten wird direkt zu Beginn der Koffer mit der Million Dollar zugelost. Bleibt er oder sie bis zum Ende dabei, ist das Geld gewonnen. Wird der „Millionär“ bei der abendlichen Wahl rausgewählt, bekommt jemand neues zufällig den Gewinn zugewiesen. Auf den ersten Blick scheint alles klar: den Millionär suchen, rauswählen bis man selbst den Geldkoffer hat und dann untertauchen. Und so spielen die Kandidaten in den ersten drei Folgen, die ich sah, auch. Aber: Ist das überhaupt sinnvoll?

Was alle direkt begreifen: Eigentlich will man den Koffer so früh gar nicht haben. Tatsächlich machen es die Regeln für Lauren, der ersten Millionärin, auch komplett unmöglich, damit bis über die Ziellinie zu kommen. Nach der ersten Challenge bekommt ein Kandidat den Hinweis, dass sich in einer bestimmten Gruppe aus sechs Kandidaten der Millionär verbirgt. Ergo reichen fünf Abstimmungen, um das Feld auf eine Person zu reduzieren. Wenn die Gruppe jenen Kandidaten zuerst rauswählen würde, um zu prüfen, ob er überhaupt die Wahrheit sagt (ein Nicht-Millionär hat in der Situation keinen erkennbaren Vorteil, zu lügen oder zu schweigen), sind es sechs Abstimmungen. Kurzum: keine Chance, nicht enttarnt zu werden. Die Hinweise, die in den weiteren Folgen offenbart werden, gar nicht mit eingerechnet.

Immerhin das scheint auch der Redaktion klar gewesen zu sein. Daher erhält Lauren als Belohnung für ihre geheime Aufgabe am zweiten Tag die Möglichkeit, das Geld zufällig neu an jemand anderen geben zu lassen. Und tut das auch. Zwar ist im Folgenden immer mal wieder die Rede davon, dass sie nun einen Informationsvorsprung habe, aber tatsächlich ist das nicht der Fall. Es hat keinen Vorteil, vor Ende der Show Millionär zu sein. Somit beginnt das Spiel an Tag 3 de facto bei Null, alles vorher war wertlos. Auch für den Zuschauer.

Die zweite Frage, die sich mir stellt: Ergibt das Konzept, dass die Spieler auf die Jagd nach dem Millionär gehen eigentlich Sinn? Genau wie bei „Pressure Cooker“ und der Frage, ob Kandidaten wirklich den besten Koch in ihren Reihen belohnen sollten, lautet die Antwort: nein, nicht so wirklich. Den wie bei „The Trust“ gilt: Es gibt – vor allem früh in der Show – überhaupt kein Incentive, in diesem Sinne zu handeln. Wählt die Gruppe früh den Millionär heraus, dann bedeutet das für einen Kandidaten, den Geldkoffer zu erhalten und damit selbst in der Schusslinie zu stehen und für die anderen Kandidaten, dass sie danach einfach nur weniger wissen als vorher.

Und so scheint mir der Geldkoffer mit der Million wie schon der gemeinsame Gewinn in The Trust und die Kochwettbewerbe in „Pressure Cooker“ vor allem ein MacGuffin, um den es nur scheinbar geht, den die Show als innovatives Konzept vorgibt. Aber eigentlich ist es das immer gleiche Social Game: wer ist beliebt, wer bindet sich an wen, wer fliegt am besten unter dem Radar? Und das ist auf Dauer leider ziemlich öde, vor allem, wenn man dabei ständig vorgibt, etwas ganz Neues sein zu wollen und es gar nicht so schwer sein sollte, diese Fehler im System zu fixen. Beispielsweise, indem der Millionär so lange er den Gewinn hat, täglich einen Teil davon abschöpfen und garantiert mit nach Hause nehmen kann. Dann gäbe es plötzlich einen Grund, die Rolle früh zu gewinnen und auch möglichst lange zu behalten und alle Parteien hätten Motivation viel aktiver zu sein.

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