Silo von Hugh Howey (2014)

Die Mechanikerin Juliette Nichols wird aus den tiefen unteren Ebenen der unterirdischen Lebenswelt des Silos rekrutiert, um in der ersten Ebene, wo die Menschen auf Bildschirmen einen Ausblick auf die verödete Oberfläche des Planeten haben, als neuer Sheriff zu dienen. Ihr Vorgänger hatte sich freiwillig zur Reinigung gemeldet, dem Putzen der Kameralinsen auf der Außenseite, einem Himmelsfahrtskommando in die verseuchte Außenwelt. Schnell gerät Juliette in eine Intrige der mächtigen IT des Silos, das die Strippen hinter der gesamten Einrichtung zieht, und sieht sich selbst mit der Reinigung konfrontiert. Doch die Dinge sind nicht immer so wie sie scheinen und einige hunderte Jahre alte Lügen über den Silo begonnen ans sprichwörtliche Tageslicht zu kommen.

Ich verstehe absolut, warum sich Fernsehmacher diesen Roman herausgepickt haben, um daraus eine Hochglanz-Serie zu AppleTV+ zu machen. Die ich bislang nicht gesehen habe, das möchte ich an dieser Stelle schon mal vorausschicken. Es wird also keine Vergleiche dazu geben. An mehreren Stellen beschreibt der Roman Szenerien, die man sich direkt auf der wohnzimmerlichen Leinwand vorstellen kann. Episch, beeindruckend, beklemmend. Dazu spielt das allermeiste im namensgebenden Silo, was sich kostenmäßig hervorragend für eine Studioproduktion hergeben sollte. Vor allem aber spricht Silo einige große Themen unserer Zeit an: Umweltzerstörung, Unterdrückung, Falschinformation durch Technologie, Kampf der Gesellschaftsschichten. Ich kann mir vorstellen, dass man da in der aktuellen Serie, zehn Jahre nach Erscheinen des Romans, einige interessante Betrachtungen herausdestillieren konnte.

Leider tut der Roman es nicht. So flott wie er teilweise geschrieben ist, so konventionell und oberflächlich bleibt es in den allermeisten Fällen leider. Dabei fängt Silo erfrischend unkonventionell an, widmet den ganzen ersten Teil einer Hauptperson, die am Ende eben jenes aus dem Leben (und der Geschichte) scheidet. So bekommt der Leser viel – bruchstückhaftes – Hintergrundwissen, das die nachfolgenden Figuren erst noch selbst erkunden müssen. Der Ansatz altert im Laufe des Buches nicht so gut, wie es zunächst den Anschein macht. Denn wenn zum Ende des zweiten Teils auch alle weiteren Hauptfiguren des ersten Teils über die Klinge springen müssen und später noch weitere, dann kann man das noch bestenfalls als unmotiviert bezeichnen. Ihre Tode haben keinen tieferen Sinn außer Platz zu machen für die finsteren Figuren mit den sinistren Absichten.

Und das ist der Knackpunkt des Ganzen: trotz des erfrischend ungewohnten Schauplatzes, des spannenden Hintergrunds, der verteilten Schauplätze, der erfreulich anachronistischen Tatsache, dass Figuren teilweise Tage benötigen, um miteinander in Kontakt zu treten, ist der Kern der Geschichte erschreckend konventionell und abgegriffen. In der Spitze des Silos wohnt die Oberschicht, die Gelehrten und die allmächtige IT. In der Tiefe das einfache Volk, die Mechaniker, die Minenarbeiter, von denen viele nie in ihrem Leben das virtuelle Tageslicht zu sehen bekommen. Snowpiercer hat das ganz genauso geschrieben, der Film erschien im selben Jahr wie dieser Roman – basierend auf einer Graphic Novel, die nochmal 30 Jahre älter ist. Wir können auch hundert Jahre bis zu Metropolis zurückgehen und vermutlich noch weiter. Die Veranschaulichung der Klassenunterschiede, indem man das niedere Volk unten im Dreck (bzw. hinten im Falle von Snowpiercer) und die Elite oben in den Wolken wohnen lässt, ist ein abgegriffener alter Hut.

Das wird auch leider in den Figuren nicht sonderlich differenziert. Während die Bewohner der oberen Ebenen nach dem Ausscheiden der frühen Hauptpersonen ohnehin nahezu unbetrachtet bleiben, sind die ITler geradezu paramilitärische Unterdrücker und die Mechaniker aufgeweckte Idealisten. Jeder Anflug von Differenzierung verpufft. So etwa bei Bernard, dem Chef der IT, bei dem hin und wieder ein Anflug von Zweifel durchscheint, nur um dann doch wieder von kalter Doktrin erschlagen zu werden.

Apropos Doktrin: das wäre genau der Dreh- und Angelpunkt gewesen, um eine interessante Diskussion aufzuschlagen, die eben auch den Figuren, die diese durchsetzen mehr Tiefgang verschafft hätte. Warum hat man entschieden, die Bewohner des Silos im Ungewissen zu lassen? Wieso hielt man es für sinnvoll, ein hochriskantes Manöver wie die Reinigung einzuführen (das einerseits die Massen elektrisiert, dem aber seltsamerweise dann kaum jemand beiwohnt)? Welche Gedanken steckten hinter der Konstruktion des Silos und seines angeblich hunderte Seiten dicken Regelwerks, um die Sicherheit der Bewohner über unzählige Generationen hinweg zu sichern? Und wenn das alles so von den klügsten Köpfen erdacht und für notwendig gehalten wurde, ist durch den Triumph der „Guten“ am Ende tatsächlich irgendwas gewonnen außer die Wahrheit zu kennen (und das dachte man zuvor ja ebenso)? Ist, von der Perfidie der Reinigung abgesehen, hier nicht im Namen der Wahrhaftigkeit die Zukunft des ganzen Silos, ja der ganzen Menschen, sollte man künftig versuchen, die anderen Silos zu erreichen, leichtfertig gefährdet worden? Howey gibt darauf keine Antworten. Er schildert lieber endlose Seiten lang einen konventionellen Kleinkrieg zwischen der IT und der Mechanik, mit Handfeuerwaffen und Granaten, mit Kommandeuren und Opfern, mit Fronten und Blockaden. Und vor allem sehr viel Warten.

Auch konkretere Fragen bleiben offen. Man möge mich korrigieren, aber wurden die Morde aus dem zweiten Teil je aufgeklärt? Klar ist es offensichtlich, dass nur die finstere IT als Täter in Frage kommt, aber das Motiv ist irgendwie – nicht vorhanden. Was hat es mit Silo 1 auf sich? Bernard telefoniert dorthin, es scheint dort eine zentrale Koordination zu geben, die er auf die eskalierte Situation aufmerksam macht. Aber eine Antwort bekommen wir nie geschildert. Auch der Ursprung des Silos wird angedeutet, aber nie ausgearbeitet. Es handelt sich wohl eher um einen Teaser für den zweiten Band.

Schlussendlich bietet Silo ein unverbrauchtes, spannendes Setting, das viele Fragen aufwirft, erzählt darin aber eine teils erschreckend konventionelle Geschichte. Silo lässt sich gut und flüssig lesen und lässt einen am Ende mit dem schalen Gefühl zurück, dass da mehr drin gewesen wäre. Und ob die Fernsehserie mehr daraus gemacht hat.