Vakuum von Phillip P. Peterson (2020)

Ich habe vor einigen Jahren „Paradox“, eines von Petersons Erstlingswerken gelesen und im Gegensatz zu den vielen doch sehr überzeugenden Kritiken war ich nicht so wirklich angetan. Schwach in der Sprache, unentschlossen im Pacing, zu abgedreht im Finale nachdem sich sehr, sehr bodenständige Near-Future Sciencefiction durch das ganze Buch zog. Man merkte sehr, dass hier ein Raumfahrtingenieur schrieb, einer der sich für technische Dinge begeisterte, sich dabei aber mittendrin aber auch mal in seitenlangen Schilderungen von Forschungszentren und Technologien verlor und den Faden seiner Geschichte gleich mit. Meine Meinung. Offensichtlich mag man das durchaus anders sehen.

Seither hab ich Peterson gemieden bis ich zuletzt mal wieder in der Buchhandlung vor dem heutzutage sehr kläglichen Sciencefiction-Regal stand (das ist das in der Ecke neben den fünf Fantasy-Regalen und hinter den drei Aktionstischen voller Romantasy-Büchern mit buntem Farbschnitt) und sah: Oha, der Mann hat so einiges veröffentlicht mittlerweile. Und es unter die wenigen Topautoren geschafft. Vielleicht habe ich mich getäuscht? Vielleicht hat er sich weiterentwickelt? Und dann hab ich „Vakuum“ mitgenommen.

„Vakuum“ liest sich für mich definitiv besser als „Paradox“, aber es ist keine große Kehrtwende im Stil, eher Nuancen. Hier schreibt weiterhin ein Nerd. Es geht um Neutrinodetektoren, um Vakuumzustände, um das Orion-Projekt und Ramjet-Antriebe. Und weiterhin legt er hier und dort seinen Figuren ein paar erklärende Worte zu viel in den Mund, wenn es darum geht, technische Details zu vermitteln ohne dass jemand danach gefragt hätte. Aber es sind keine seitenweisen Abhandlungen mehr, das meiste fügt sich organisch in die Dialoge ein. Immerhin spürt man dadurch um so mehr: Peterson hat Ahnung und Peterson recherchiert sauber, wovon er schreibt. Die Wissenschaft hat Hand und Fuß, die Theorien, die Technik, die Institute und Orte, alles passt und so erst fühlt sich das beschriebene Szenario wirklich real an.

Auf dem Rückcover steht als Zitat von Andreas Eschbach: „Das ist der endgültigste Katastrophenthriller, der je geschrieben wurde. Und das denkbar tollkühnste Rettungsunternehmen. Großartig!“ Ich denke, viel mehr möchte ich über den Inhalt auch gar nicht preisgeben. Es geht um eine universelle Bedrohung und die Reaktion der Erdbewohner, ihren Plan zur Rettung, der eine ganze Nation zum Zusammenhalt fordert.

Das „Großartig“ habe ich der Vollständigkeit halber zitiert. Ich werde das weiterhin nicht unterschreiben. Petersons Sprache ist weiterhin stellenweise platt. Vielleicht kommt der Eindruck auch daher, vorher Schätzing gelesen zu haben, dessen Werk mittlerweile um ein Haar in hochgestochenen Formulierungen ersäuft. Jedenfalls merkt man Petersons berufliche Herkunft. Der Mann beschreibt die Fakten in effizienter Sprache statt in ziselierten Metaebenen. Das gilt auch für seine Figuren, die er in bemerkenswert realistische Beziehungen zueinander setzt – Susan in einer nüchternen Gelegenheitsbeziehung mit einem Kollegen, in der es durchaus mal knirscht und Colin in einer Ehe, die nur deshalb noch existiert, weil die zwei rational denkende Wesen keinen Vorteil darin sehen, sie aufzulösen. Aber der Tiefgang fehlt, die Introspektive. Alles ist so nüchtern erzählt, vieles ist behauptet, beschrieben. Als Leser weiß man, was Peterson dort beschreibt, aber man fühlt es nicht. Und so reduzieren sich viele Figuren letztendlich meistens doch auf zwei, drei Eigenschaften, die ihnen angehängt werden. Susan die Empathische, Colin der Frauenheld auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, Pala die überforderte verzweifelte Tochter, Toma der Nerd.

Ähnliches gilt für die dramatische Geschichte an sich, denn „Vakuum“ ist äußerst episodenhaft erzählt, springt durch einen Zeitraum von mehreren Jahren. Es will auf der einen Seite das Chaos der drohenden Apokalypse sichtbar machen, aber selbst ein gewaltiger Atomkrieg verkommt zur Episode, die in zwei Kapiteln durchgespielt und anschließend bloß noch einmal erwähnt wird und damit abgehakt ist ohne dass es für die Handlung nennenswerte Konsequenzen hat. Und Peterson nutzt die Episode nicht, um zu illustrieren, wie die Menschen mit dem Ausbruch einer solchen Hölle umgehen, was ihre Gedanken sind, was es mit einem Volk macht, das weiß, dass die Gefahr, dass einem jederzeit der Himmel wortwörtlich auf den Kopf fallen kann, real geworden ist. Sondern er beschreibt die Abläufe im Situation Room des Präsidenten, erzählt aus einer Außenperspektive. Hier liegt im Übrigen einiges an verschenktem Potential: Präsident Gorman ist meiner Meinung nach eine der interessantesten Figuren der Geschichte, er steckt in den größten Dilemmata, muss die schwierigsten Entscheidungen treffen und ist aus meiner Sicht am Ende der tragische Held, einer der viele unmoralische, aber zwingend notwendige Entscheidungen trifft. Leider erleben wir ihn nur von außen und aus einer sehr engen Perspektive, die ihn mit einer Spur zu viel Gutmenschentums als Antagonisten abstempelt.

Peterson baut in einem Nebenstrang einige Fragen und Geheimnisse auf, auf deren Lösungen er vielleicht ein paar Mal zu oft energisch mit dem Finger zeigt, sodass spätestens zur Hälfte des Buches klar ist, worauf alles hinauslaufen wird. Der Rest ist Fleißarbeit, „Vakuum“ hält keine Überraschungen bereit, es geht um den Weg und nicht das Ziel. Dieser ist allerdings flott geschrieben und definitiv entfaltet „Vakuum“ eine gewisse Sogwirkung.

Unter dem Strich bleibt ein sehr rationaler, technisch versierter Sciencefiction-Thriller, der Klischees gut umschifft, Zug hat und sich gut an wenigen Abenden lesen lässt. Mir fehlt letztendlich die Essenz, das Menschliche, das Psychologische kommt zu kurz. Und das wäre gerade hier bei so so vielen Figuren mächtig interessant gewesen.

Fun Fact:
Just im selben Jahr veröffentlichte ich auf M42 ein Filmkonzept für einen Scifi-Thriller, der mit dem genau gleichen Katastrophenszenario aufwartete. Leider ist M42 gerade defekt, aber es war sowieso aus dessen Frühphase und eher nicht lesenswert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert